- Kernspaltung: Der Weg zur Atombombe
- Kernspaltung: Der Weg zur AtombombeAm 22. Dezember 1938 erscheint in der Zeitschrift »Die Naturwissenschaften« ein Artikel der Wissenschaftler Otto Hahn und Friedrich Straßmann. Darin beschreiben sie ein sonderbares Phänomen, das bei der Bestrahlung von Uran mit Neutronen auftritt. Der Urankern scheint dabei in Elemente zu zerfallen, die ungefähr halb so schwer sind wie Uran. Kurz vor dem Absenden der Veröffentlichung teilt Hahn seiner nach Schweden emigrierten Mitarbeiterin Lise Meitner die möglichen Schlussfolgerungen der Berliner Arbeiten mit. Meitner und ihr Neffe Otto Robert Frisch interpretieren das »Zerplatzen des Kerns«. Im Atomkern werden die Neutronen und Protonen durch die starken Kernkräfte zusammengehalten. Diesen bindenden Kräften stehen abstoßende Kräfte gegenüber, die durch die positive Ladung der Protonen hervorgerufen werden. Uran ist das in der Natur vorkommende Element mit der größten Zahl von Protonen pro Kern. Hier ist die Grenze erreicht, bis zu der der Kern gerade noch stabil ist.Beschießt man einen Urankern mit Neutronen, so regt man ihn zu so starken Schwingungen an, dass der Kern sich wie ein großer Wassertropfen einschnürt und in zwei etwa gleich große Stücke teilt. Meitner und Frisch nennen diesen Prozess »Kernspaltung«. Aus den Berechnungen der Wissenschaftler geht hervor, dass bei der Kernspaltung Energie freigesetzt wird, die hauptsächlich als Bewegungsenergie der beiden Spaltprodukte auftritt und sich bei deren Abbremsen in Wärme wandelt.Im Februar 1939 erscheinen zwei weitere entscheidende Veröffentlichungen. Meitner und Frisch berechnen, dass nur das im natürlichen Uran zu 0,7 % enthaltene Uranisotop mit der Massenzahl 235 für die Spaltung infrage kommen kann. Hahn und Straßmann vermuten, dass bei der Uranspaltung nicht nur ein Neutron verbraucht, das heißt absorbiert wird, sondern dass beim Spaltvorgang auch freie Neutronen entstehen könnten. Weltweit erkennen eine Reihe von Physikern das enorme Potenzial einer möglichen Kettenreaktion, die durch die Spaltung des Urans ausgelöst würde. Anfang 1939 unternimmt der ungarische Physiker Leo Szilard den Versuch, bei seinen Kollegen, die in den USA und in Frankreich am Problem der Kettenreaktion arbeiten, eine freiwillige Selbstzensur bezüglich weiterer Veröffentlichungen zu erreichen. Er will verhindern, dass diese Erkenntnisse dem Deutschen Reich zur Entwicklung einer Atomwaffe verhelfen. Obwohl eine Reihe von Wissenschaftlern seinem Anliegen zustimmen, scheitert Szilard, denn im April 1939 füllt eine Pariser Forschergruppe um Jean Frédéric Joliot-Curie eine entscheidende Lücke im Grundlagenwissen der Uranspaltung: Bei der Spaltung des Kerns entstehen im Mittel mehr als zwei Neutronen - eine Kettenreaktion ist folglich möglich!Streng geheim: Die Entwicklung der BombeGetrieben durch die Angst, das Deutsche Reich könne eine Atombombe entwickeln, entwerfen die aus Deutschland in die USA emigrierten Wissenschaftler Szilard und Wigner 1939 einen warnenden Brief an den Präsidenten Roosevelt. Um dem Brief mehr Gewicht zu verleihen, bewegen sie Albert Einstein dazu, ihn zu unterschreiben. Dieses historische Dokument wird im Oktober 1939 Roosevelt vorgelegt. Als Folge wird ein Beratendes Komitee über Uran gebildet und im Juni 1940 wird die Uranforschung zentral im Nationalen Komitee für Verteidigungsforschung organisiert. Im Ausland geborene Wissenschaftler, also auch die Anreger des Programms, werden vorerst aus Sicherheitserwägungen ausgeschlossen. Im darauf folgenden Jahr steigt die Angst vor Hitlers Bombe, denn auch britische Wissenschaftler zeigen sich beunruhigt über die deutschen Arbeiten auf dem Gebiet der Uranforschung. Im »Uranverein« befassen sich eine Reihe prominenter Wissenschaftler mit Aspekten wie der Trennung des spaltbaren Urans 235 vom natürlichen Uran oder der Möglichkeit einer kontrollierten Kettenreaktion in einem Kernreaktor.Im September 1942 beginnt in den USA eines der größten militärisch-wissenschaftlichen Geheimprojekte der Geschichte unter dem Namen Manhatten Engineer District, auch Manhatten-Projekt genannt. Erklärtes Ziel ist die Entwicklung der ersten Kernspaltungsbombe. Das Projekt ist straff organisiert, an vielen Orten der USA arbeiten heimische und emigrierte Wissenschaftler und Techniker daran, doch obwohl zeitweise über 150 000 Menschen direkt und indirekt am Projekt beteiligt sind, kennen nur etwa 100 Eingeweihte das wahre Ziel. Bereits im Dezember 1942 wird unter der Leitung des Physikers Enrico Fermi der erste Kernreaktor in Chicago erprobt. Es handelt sich um einen primitiven Aufbau aus aufgeschichteten Kanistern mit Uranpulver und Graphitblöcken. Die Leistung des Reaktors lässt sich durch Herausziehen und Wiedereinschieben von Kadmiumstäben steuern. Über 2 000 km von Chicago entfernt, in Los Alamos im Staat New Mexico, leitet Robert Oppenheimer das Waffenlabor. Inmitten einer idyllischen Einöde arbeiten hier einige der besten Physiker und Chemiker der Welt an der Bombe.Das Prinzip der Spaltungsbombe wurde bereits 1941 von britischen Forschern beschrieben: Vereint man durch eine konventionelle Explosion schlagartig zwei Blöcke aus spaltbarem Uran 235 zu einer »kritischen Masse«, so wird eine Kettenreaktion ausgelöst. Zuerst wird ein einzelner Urankern gespalten, doch durch die frei werdenden Neutronen werden im Folgenden weitere Kerne gespalten, die wiederum weitere Neutronen freisetzen. Bei diesem rasch ablaufenden Prozess wird mit jeder Spaltung auch ein winziger Bruchteil an Energie frei, die sich jedoch durch die wachsende Zahl der Spaltungen rasant summiert. Rein rechnerisch ergibt sich aus der vollständigen Spaltung von nur 500 g U 235 eine Sprengkraft, die der Explosion einer chemischen Bombe von 10 000 Tonnen TNT entspricht. Ein Problem bestand im Aufbau der Bombe, die nach der Zündung nicht »zu früh« auseinander fliegen durfte. So wurde während des Manhatten-Projekts in zahlreichen Versuchen die genaue Geometrie ermittelt und eine für die damalige Zeit hochpräzise Zündelektronik entwickelt.Schon Ende 1944 ist den USA bekannt, dass die anfänglichen Ängste vor einer deutschen Atombombengefahr grundlos waren. Im April 1945 stoßen die alliierten Truppen auf die Reaktorversuchsanlage in Haigerloch, in der Nähe von Tübingen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt steht unmissverständlich fest, dass das deutsche Atombombenprogramm erfolglos geblieben war. Dennoch laufen die Arbeiten an der Bombe weiter.Drei Zündungen verändern die WeltKurz vor Sonnenaufgang, am Morgen des 16. Juli 1945, wird in der Wüste von New Mexico die erste Atombombe gezündet. Der Test trägt den Namen »Trinity«. Die Sprengkraft dieser neuartigen Waffe übersteigt alle Abschätzungen der Wissenschaftler.Hiroshima war eine japanische Kleinstadt, die bis zum Morgen des 6. August 1945 von größeren Kriegsangriffen verschont geblieben war. Um 8.15 Uhr überfliegt ein einzelner B-29-Bomber die Stadt. In einer Höhe von 580 Metern zündet die A-Bombe und vernichtet zwei Drittel der Stadt. Schätzungsweise 200 000 Menschen sterben in den ersten Tagen. Am 9. August zerstört eine weitere Bombe die Stadt Nagasaki. Nie zuvor in der gesamten Menschheitsgeschichte waren so viele Menschen durch die Wirkung einer einzigen »Waffe« zu Tode gekommen. Hiroshima und Nagasaki zählen bis heute wohl zu den dunkelsten Meilensteinen der Menschheit.Ranga Yogeshwar
Universal-Lexikon. 2012.